Reisen & Recherchen

Im Land der langen, weißen Wolke

Im Jahr 2019 hatten wir für den Februar 2021 eine Reise nach Neuseeland gebucht, die dann wegen Corona nicht stattfinden konnte. Als unsere Reisekauffrau Anfang letzten Jahres vorschlug, die Reise im Februar 2024 nachzuholen, waren wir unsicher, denn Corona hatte uns beiden zugesetzt. Bei Iny ist es mit ihrer Gehbehinderung schlimmer geworden und auch Elmar ist bei Weitem nicht mehr in der Verfassung wie vor der Pandemie. Wir haben lange überlegt, ob wir es wirklich riskieren sollen. Schließlich sagten wir uns, wer seine Träume aufgibt, gibt sich selbst auf, und beschlossen zu reisen.

Wir nannten die Dinge, die wir sehen und erleben wollten. Darauf nahm der Reiseveranstalter auch Rücksicht. Allerdings baute er diese Punkte in ein äußerst ambitioniertes Reiseprogramm ein. Das Problem für uns war, dass uns alle Orte interessierten, die darin aufgeführt waren. Unsere Reisekauffrau meinte zwar, dass wir den einen oder anderen Punkt weglassen könnten. Auch wären einige der Punkte vom Wetter abhängig und wir könnten nicht damit rechnen, dass alle stattfinden würden.

Wir beschlossen, es auf uns zukommen zu lassen. Immerhin wollte Elmar, wie er sagte, Maoris erleben und an Bilbo Beutlins Tür am Filmset von Matamata klopfen. Es wurden daher die Koffer gepackt und die Reise konnte beginnen. Sie ging in zwei Etappen vonstatten. Zuerst flogen wir von München nach Singapur und von dort aus nach Auckland. Die Zeit zum Umsteigen in Singapur war äußerst knapp, zumal wir das Terminal wechseln mussten. Uns wurde dort aber geholfen und so ging alles gut.

Die Ankunft in Auckland erfolgte am Samstag um Mitternacht. Bis wir im Hotel waren, dauerte es auch noch eine gewisse Zeit. Wenigstens konnten wir uns am Sonntag ein wenig erholen. Am Montagmorgen erschien unsere Tourguide Barbara und unsere Rundreise durch Neuseeland begann.

Erst einmal ging es nach Norden. Ein Museum stand auf dem Programm und am Abend eine Wanderung durch den Kauri-Wald, zu den uralten Baumriesen, deren Ältester bereits stand, als Romulus und Remus der Sage nach Rom gründeten. Der Durchmesser von über fünf Metern des Te Matua Ngahere war beeindruckend, und ebenso der Tane Mahuta mit seinen viereinhalb Metern Durchmessern und über fünfzig Metern Höhe. Ein Maori führte uns durch diese grüne Wildnis und berichtete, dass der jetzige Wald nur noch ein Prozent des Waldes ausmachen würde, den es bei der Ankunft der Pakeha, also der Briten, gegeben hatte. 99 Prozent des Waldes waren für den Schiffsbau, für die Möbelherstellung und sonst noch alles Mögliche abgeholzt worden.

Bereits am nächsten Tag ging es weiter. In Kawakawa benützten wir die von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Bedürfnisanstalt 'Hundertwasser Toilets', dann ging es weiter nach Paihia. Es war Waitangi-Tag, der Nationalfeiertag Neuseelands, der an die Unterzeichnung des Vertrages mit den meisten Maori-Häuptlingen im Jahr 1840 erinnert, durch den Neuseeland eine Britische Kolonie geworden ist. Wir standen direkt neben Waitangi, dem Platz, auf dem dieser Vertrag unterschrieben worden ist, und sahen die Menschenmenge, die dort zusammenströmte. Motorräder und Autos waren mit der modernen Maori-Fahne geschmückt, aber nicht wenige hatten auch die alte, 1840 gebräuchliche Maori-Fahne bei sich, und viele trugen beide. Doch auch etliche von Europäern abstammende Neuseeländerinnen und Neuseeländer trugen die alte Maori-Fahne mit sich, um an diesen Vertrag zu erinnern.

Von unserem Platz aus sahen wir auch das große Waka ausfahren, jenes schier unendlich lange Kanu, das nur an diesem einen Tag im Jahr zu Wasser gelassen wird, um seine zeremonielle Fahrt über die Bucht anzutreten. Von Barbara erfuhren wir, dass bei den Maori noch immer viel Bitterkeit herrscht. 1840 legten die Briten den Vertrag in der Maori-Sprache und auf Englisch vor. Was die Maori nicht wussten, war die Tatsache, dass sich beide Ausfertigungen in wesentlichen Punkten unterschieden. Während sie glaubten, sie hätten sich nur Königin Victoria unterstellt und könnten so weiterleben wie bisher, fehlten die ihnen im Maori-Text zugesicherten Rechte im englischen Text vollkommen, und die Briten pochten danach auf ihre Version. Die Maori wurden um Land betrogen und als sie auf ihren Text bestanden, kam es zu Kämpfen, bei denen die waffentechnische Überlegenheit der Briten den Sieg davon trug. Zwar bemühten sich die neuseeländischen Regierungen in den letzten Jahrzehnten, viel von dem Unrecht wieder gutzumachen, aber die Entwicklung in anderthalb Jahrhunderten kann man nicht so einfach auslöschen.

Unsere Reise ging weiter. Wir besuchten die Hamilton Gardens in der gleichnamigen Stadt mit ihren unterschiedlich gestalteten Bereichen. Es gab auch einen Teil in der Art der Maori-Gärten, und dieser interessierte uns besonders. Wir wanderten aber auch durch die anderen Bereiche und erlebten dort angenehme Stunden.

Am nächsten Tag stand der erste große Höhepunkt auf dem Programm. Es ging nach Matamata zum Set von Hobbingen. Um Iny die Wege und Anstiege dort zu ersparen, besorgte Barbara uns einen Golfcart, mit dem wir durch das Gelände gefahren wurden. Der Fahrer hielt immer wieder an, damit austeigen und uns ausgiebig umschauen und fotografieren konnten. Barbara erklärte, dass es sich für uns gelohnt hätte, erst in diesem Jahr zu kommen. Im Dezember 2023 war nämlich eine eingerichtete Hobbithöhle eröffnet worden, die wir besichtigen konnten. Es war mit einem Wort gesagt: beeindruckend. Zum Abschluss ging es noch in den Grünen Drachen auf einen Apfelsaft für Iny und einen Krug Hobbit-Bier für Elmar. Fast konnte man glauben, am Nebentisch Samweis Gamdschie und Frodo zu sehen.

Schließlich ging es nach Rotorua. Hier waren Maori angesagt. Als erstes besuchten wir ein Künstlerzentrum, in dem die alte Tradition gepflegt, aber auch Neues erprobt wurde. War dies schon beeindruckend, brachten uns die blubbernden Schlammlöcher und der hochschäumende Geysir auf dem Gelände zum Staunen. Es folgte eine Zeremonie, mit der uns der Eintritt ins Versammlungshaus gestattet wurde. Was folgte, war weniger Folklore als überlieferte Tradition. Rotorua ist eines der Maori-Zentren, in dem die Kultur dieses Volkes bewahrt und an die nächste Generation weitergegeben wird.

Kiwis sahen wir auch. Damit meinen wir nicht die Früchte mit ihrem grünen Fruchtfleisch, sondern die langschnäbeligen Vögel. Natürlich geschah das nicht auf freier Wildbahn. Dafür gibt es zu wenige und sie sind auch zu scheu. Barbara führte uns jedoch in die Kiwi-Aufzuchtstation. Dort konnten wir ein fast ausgewachsenes Tier in künstlicher Nacht beobachten. Außerdem sahen wir mehrere frisch geschlüpfte Küken und konnten erleben, mit welcher Sorgfalt die Vögel dort gepflegt werden. Haben in freier Wildbahn geschlüpfte Kiwis eine Überlebenschance von drei Prozent, so sind es bei in Aufzuchtstation geschlüpften Küken fast achtzig Prozent. Dafür aber müssen die Eier der wild lebenden Kiwis gefunden und dorthin gebracht werden.

Als Nächstes stand die Glowworm-Höhle von Waitomo auf dem Programm. Barbara schlug vor, nicht diese, sondern die daneben liegende Ruakuri-Höhle zu besuchen, da es in der Glowworm-Höhle viele Treppen gab, die für Iny nicht zu bewältigen wären. Uns war es recht, umso mehr, da in der Ruakuri-Höhle im Gegensatz zu der Glowworm-Höhle das Fotografieren erlaubt war und

Natürlich besuchten wir auch das Nationalmuseum Te Papa und erlebten dort eine persönliche Führung durch die für uns wichtigsten Teile. Besonders interessant war für uns auch der Museumsshop, in dem wir einige für uns wichtige Unterlagen besorgten.

Nun ging es zur Südinsel. Nun stand mehr die Natur im Vordergrund. Dazu gehörte eine Bootsfahrt in den Abel-Tasman-Nationalpark bei Keriteri, die Seelöwenkolonie bei Westport und die Pfannkuchenfelsen von Punkaiki. In Hokitika hatte unser Reiseveranstalter für Elmar einen Lehrgang zur Herstellung eines Schmuckstücks aus Nephrit eingeplant. Sein Lehrer schien mit dem Ergebnis jedenfalls zufrieden zu sein, auch wenn Elmar meinte, dass er das wohl zu allen sagen würde, die an einem solchen Lehrgang teilnahmen. Iny und unsere Tourguide Barbara erklärten jedoch, dass er sich gut geschlagen hätte.

Der nächste Tag brachte einen der großen Höhepunkte der Reise, nämlich einen Helicopterflug auf den Franz-Josef-Gletscher in den neuseeländischen Alpen. Für uns war es das erste Mal, dass wir in einem solchen Gerät mitflogen. Elmars Vorschlag, auch einmal einen Heißluftballon auszuprobieren, wurde von Iny abgelehnt. Ihr sind Transportgeräte suspekt, die man nicht steuern kann.

Die Reise ging weiter. Unser Ziel war Queenstown am Lake Wakatipu. Unterwegs hielten wir mehrmals an, um unter anderen die Thunder Creek Falls und den Lake Wanaka anzusehen. Barbara nützte die Pausen, um zu telefonieren. Für den nächsten Tag waren Wolken angesagt, die den geplanten Programmpunkt verhindern würden. Es gelang ihr, die Planungen für die beiden nächsten Tage zu tauschen. So fuhren wir am nächsten, wolkenverhangenen Tag mit dem alten Dampfer Earnslaw auf dem Lake Wakatipu und hofften für den Tag darauf auf schönes Wetter.

Die Hoffnung erfüllte sich und wir konnten mit einer Cessna über die neuseeländischen Alpen zum Milford Sound fliegen. Dort ging es dann an Bord eines Schiffes und befuhren den Sound vom Beginn bis zu der Stelle, an der er in die Tasmanische See mündet. Beides waren weitere Höhepunkte unserer Reise. Danach näherte sich diese jedoch ihrem Ende. Es gab noch einem Zwischenstopp am Lake Tekapo, dann checkten wir im letzten Hotel unserer Neuseelandreise ein.

Aus uns unerklärlichen Gründen hatte der Reiseveranstalter uns in ein altes Herrenhaus einquartiert, das nun als Hotel genutzt wird. Hier hatte schon King Charles III., damals noch als Prince Charles, mehrfach mit Camilla genächtigt. In die Kategorie waren wir natürlich nicht gebucht worden. Es war trotzdem ein eigenartiges Gefühl, in Trekkinghosen und T-Shirt dort herumzulaufen, während an den Wänden die Fotos höchst gediegener Herrschaften hingen. Interessant, so einen Palast einmal von innen zu sehen, war es aber doch.

Für uns standen noch Christchurch mit dem Erbebenmuseum und eine Stadtbesichtigung auf dem Programm, sowie am Tag darauf die Fahrt nach Akaroa und eine Schifffahrt durch die Bucht von Akaroa. Es gab Delfine zu sehen, doch waren die zu schnell, um sie fotografieren zu können. Dies konnte Elmar dann aber bei den dortigen Seelöwen, sodass wir zum dritten Mal auf dieser Reise welche sahen.

Der letzte Tag auf Neuseeland gehörte wieder dem Herrn der Ringe. Es stand eine Fahrt zu der Stelle auf dem Programm, an der Peter Jackson für seine Filme Edoras, die Hauptstadt der Rohirrim, mit der goldenen Halle Meduseld hatte errichten lassen. Zwar ist das Gelände längst wieder renaturiert worden. Dennoch ist die Gegend immer noch imponierend und ein Pilgerziel für die Fans der Filmtrilogie um den Herrn der Ringe.

Barbara riet uns, diese Fahrt nicht in einer Gruppe, sondern als private Tour zu machen, da wir dabei eine persönliche Führerin bekämen und sie besser übersetzen könnte. Auch hielt sie es für sinnlos, so lange wie die Gruppe an der Stelle zu bleiben, da es für Iny unmöglich war, den Hügel zu besteigen. Vor Ort war auch Elmar froh, es nicht tun zu müssen. Jedenfalls wurde dieser Ausflug ebenfalls zu einem Höhepunkt unserer Neuseelandreise. Unsere Führerin erwies sich als kompetent und konnte sich so gut um uns beide kümmern, wie es anders niemals möglich gewesen wäre. Wir blieben eine ganze Weile bei dem Hügel, ließen uns alles erklärten und amüsierten uns über einige Anekdoten, die unsere Führerin erzählte. Da wir nicht den Hügel erstiegen, gab es für uns noch ein kleines Zuckerchen. Unsere Führerin fuhr mit uns ein paar Kilometer weiter und wir konnten noch eine andere Stelle besichtigen, die für den Film wichtig gewesen ist, nämlich Helms Klamm.

Als wir nach dieser Fahrt ins Hotel zurückkamen, schwang eine gewisse Wehmut mit. Es galt, nicht nur alles für die am nächsten Tag geplante Abreise vorzubereiten. Wir mussten uns auch von Barbara verabschieden, die uns drei Wochen vorzüglich betreut und uns Neuseeland nahe gebracht hat. Sie ist wirklich die beste Tourguide der Welt.

Am nächsten Morgen gab es ein rasches Frühstück und dann ging es zum Flughafen. Die Heimreise hatte begonnen. Wir nahmen eine Menge an Eindrücken mit uns, aber auch neue Ideen, die wir im Lauf der nächsten Jahre verwirklichen wollen. Zugegebenermaßen war die Reise anstrengend und hat uns ein paar Mal bis an unsere Grenzen gebracht und einmal auch darüber hinaus. Missen aber wollen wir sie trotzdem nicht. Wir haben unseren Traum gelebt und es hatte sich gezeigt, dass es ein guter Traum war.

Eure

Iny und Elmar Lorentz